Die etwas andere WG

Frau Amsel* lebt mit einer Wohnpartnerin im Rahmen des Projekts „Wohnen für Hilfe“ zusammen. 2011 kam die erste junge Studentin in ihr Haus, seit letztem Jahr lebt sie mit ihrer zweiten Studentin, Britta*, zusammen. über 40 Jahre Altersunterschied trennen die Mitbewohnerinnen voneinander, von Problemen gibt es dabei keine Spur. Britta hilft Frau Amsel monatlich 16 Stunden im Haushalt, um die Kaltmiete abzugelten. Die beiden sitzen häufig zusammen, sehen gemeinsam fern und lästern über Männer – „wie in jeder anderen WG wahrscheinlich auch“, weiß Frau Amsel.

Wann und wie sind Sie auf die Aktion „Wohnen für Hilfe“ aufmerksam geworden?
Das war 2009. Ich habe damals einen Artikel in den Badischen Neuesten Nachrichten gelesen und fand, das ist eine spannende Sache. Ich habe allerdings fast ein Jahr diesen Gedanken reifen lassen, bis ich dann meine erste Studentin bei mir aufgenommen habe.

Was war dann letztendlich ausschlaggebend für Sie, eine Studentin bei sich aufzunehmen?
Mir war es wichtig, frischen Wind in die Wohnung zu bekommen, damit ich nicht „verschrulle“. Ich bin alleinstehend, habe mich oft gelangweilt und kam mir auch hin und wieder einsam vor. Hinzu kommt meine Angst vor Alzheimer, das liegt bei uns in der Familie. Neue Impulse für das Hirn zu bekommen, ist das beste Mittel dagegen. Nach langem Hin und Her habe ich dann 2011 meine erste Studentin aufgenommen. Seither kommt es mir vor, als hätte ich mich einer gründlichen Verjüngungskur unterzogen.

Wie ging das alles vonstatten?
Eine Mitarbeiterin der Paritätischen Sozialdienste kam bei mir daheim vorbei und ist mit mir einen Fragebogen durchgegangen. Dann haben wir geklärt, wie ich mir diese Wohnpartnerschaft vorstelle und was gar nicht geht. Das war dann auch schnell geklärt: keine Partys, kein Rauch und kein Alkohol in der Wohnung. Ich wollte mein Zimmer auch nur möbliert vermieten. Ich dachte mir, wenn es nicht gutgeht, dann ist der Koffer schnell wieder gepackt und ich habe wieder meine Ruhe.

Und ging es gut?
Es hat auf Anhieb gepasst und meine Bedenken sind schlagartig verschwunden. Die erste Studentin, die bei mir eingezogen ist, war 19 Jahre jung, kam aus Flensburg und ist in einem sehr behüteten Elternhaus aufgewachsen. Als sie dann frisch in Karlsruhe war, habe ich ihr das Straßenbahnsystem erklärt und ihr die Stadt gezeigt. Wir haben uns super verstanden. Letztes Jahr hat sie dann in Karlsruhe einen festen Freund gefunden und ist mit ihm zusammengezogen.

Wie ging es dann weiter?
Das war alles überhaupt kein Problem. Ich habe mich dann einfach wieder bei den Paritätischen Sozialdiensten gemeldet und zusammen mit meiner Sachbearbeiterin Ausschau nach einer neuen Studentin gehalten. Das ging auch alles problemlos über die Bühne. Gleich die erste junge Dame, Britta, die sich bei mir vorgestellt hat und mir vermittelt wurde, war mir sympathisch und hat dann nahtlos die Lücke zu meiner ersten Mitbewohnerin geschlossen.

Dann zog Britta bei Ihnen ein. Wie arrangieren Sie sich in der Wohnung?
Ganz prima. Britta hat ihr eigenes 16m2 großes Zimmer in meiner Dreizimmerwohnung. Die Küche teilen wir uns. Ich habe ihr ein Fach im Kühlund Gefrierschrank freigemacht. Das Bad teilen wir uns selbstverständlich auch. Wir sprechen uns ab, wer zuerst morgens rein darf. Das A und O in jeder WG ist die Kommunikation untereinander. Britta ist eine reife und gut organisierte junge Dame, mit der ich gut auskomme und ein freundschaftliches Verhältnis habe.

Ihre WG besteht ja nun seit über einem Jahr. Wie kann man sich das Zusammenleben vorstellen?
Wie in jeder anderen WG wahrscheinlich auch. Wir schauen zusammen fern, lästern über Männer, wir tratschen gerne und waren auch schon im Schwimmbad zusammen. Was man eben so macht. Britta hat mich auch schon zu Freunden begleitet und diese kennengelernt.

Was genau macht Britta für Sie im Haushalt?
Pro Quadratmeter muss sie eine Stunde Hilfe leisten. Also in unserem Fall 16 Stunden pro Monat. Sie saugt mir regelmäßig die Wohnung durch. Sie putzt Küche, Bad und WC. Zweimal im Jahr putzt sie mir auch die Fenster. Und wenn ich mal Probleme am Laptop habe, dann steht sie mir auch immer mit Rat und Tat zur Seite. Und auch bei kleineren Problemen des Alltags kann ich mich auf sie verlassen. Selbstverständlich muss sie mich weder pflegen noch betreuen.

War ihr Vermieter damit einverstanden?
Ja, da gab es keine Probleme. Ich musste natürlich nach dem Einzug mehr Nebenkosten bezahlen, aber Britta trägt die ja mit. Alles in allem zahlt sie an mich 80 Euro an Nebenkosten im Monat. Wie gesagt, Miete zahlt sie nicht, sie arbeitet das lediglich mit ihren 4 Stunden in der Woche ab.

Was sagen eigentlich ihre Freunde und Bekannte dazu, dass Sie eine Studentin bei sich aufgenommen haben?
Die sind alle positiv überrascht, dass bei uns alles so glatt läuft und es auch noch nie ernsthafte Probleme gegeben hat. Die haben anfangs den Teufel an die Wand gemalt und mir davon abgeraten, aber wenn ich mir mal was in den Kopf gesetzt habe, wird es schwer, mir das wieder auszureden (lacht herzhaft). Meine Bekannten sagen mir auch, dass ich viel toleranter und aufgeschlossener bin, seit ich mich für die Wohnpartnerschaft entschlossen habe.

Wie lange wird Britta aller Voraussicht nach noch bei Ihnen bleiben?
Sie bleibt höchstwahrscheinlich bis November 2014, dann hat sie, wenn alles nach Plan läuft, ihren Abschluss in der Tasche.

Holen Sie sich dann wieder eine neue Studentin in die Wohnung?
Aber sicher, wenn es menschlich gleich wieder passt, steht dem nichts im Wege!

Würden Sie anderen älteren Menschen raten, bei „Wohnen für Hilfe“ mitzumachen?
Absolut, ich kann es nur wärmstens weiterempfehlen! Die meisten meiner Freunde sind aber nicht tolerant genug. Schon einen Internetanschluss zu organisieren, finden sie zu aufwändig. Dabei geht doch heute nichts mehr ohne Internet. Selbst ich habe einen Seniorenkurs zum Umgang mit einem Laptop absolviert.

Frau Amsel, recht herzlichen Dank für das Interview mit Ihnen. Dürfen wir es Ihnen per Mail zukommen lassen?
Klar, ich bin täglich online!